Wir sind angekommen

Morgen ist es so weit. Morgen geht es los.

Fast freue ich mich darauf. Bin mir aber nicht sicher. Weiß nicht mehr genau, wie sich das anfühlt.

Der Stuhl knarzt, jedes Mal, wenn ich mich bewege. Schönes Wort. Knarzen. Schönes Geräusch. Zeigt mir, dass ich noch da bin. Oder wieder? Ab morgen wieder da bin?

Wieso eigentlich morgen? Wieso eigentlich dieser Zeitraum? Wer hat das beschlossen? Und wer hat beschlossen, das zu übernehmen? Sich daran zu halten?

Der Regen trommelt gegen die Scheibe. Auch das ein schönes Geräusch. Tropfen schlieren am Glas herunter, manche halten sich fest, manche verschwinden einfach nach unten, in der Dunkelheit unter meinem Fenster, in der Dunkelheit der Straße. Erst zwei Bürgersteige und eine Straße weiter wieder Licht im Fenster, an dem die Tropfen schlieren können, gegen das der Regen trommeln kann.

Hier drinnen Stille. Wie so oft. Auch das ein … nein, ich sage es nicht. Weil es nicht stimmt. Oder, weil es stimmt, aber weil es gefährlich sein könnte, das zu sagen. Weil dann der Widerstand aufweichen könnte. Der Widerstand gegen die Stille.

Morgen. Morgen wird es nicht so still hier, ganz sicher. Morgen werde ich lachen, quietschen, prusten. Den Fernseher laufen lassen, wenn ich einen hätte.

Morgen. Gleich am ersten Tag des Fastenmonats. Einen Monat fasten. Jammerfasten. Das Jammern fasten. Einen Monat lang nicht jammern, nicht weinen, schluchzen, kreischen, schreien, verstummen, weil du nicht mehr da bist, fort, weg, davon, nicht hier, nirgendwo.

Das wird das erste Mal seit so langer Zeit, dass ich nicht mehr traurig bin. Dass ich nicht nur auf dem knarzenden Stuhl am Fenster sitze. Dass ich aufstehe, mich bewege, die Wohnung erkunde, die mal unsere war, jetzt meine. Vielleicht lache ich sogar. Gleich morgen. Verrückter Gedanke.

Beinahe muss ich jetzt schon grinsen bei dieser Vorstellung. Lachen. Einfach so. Nicht mehr jammern. Einfach so. Aufhören, dieses Ich zu sein, das niemals, niemals wirklich ich war. Das ich nie sein wollte.

Und das ist ja nur der erste Tag. Morgen. Wenn der Monat vorbei ist, wenn dieser ganze Fastenmonat rum ist, wer weiß, wo und wer und was und wie ich dann bin. Vielleicht bin ich dann da, wo ich seit so langer Zeit, seit du fort bist, hin wollte, so undenklich langer Zeit. Gefühlt.

Vielleicht bin ich dann tatsächlich angekommen.